Wir unterstützen das Netzwerk Saubere Energie München bei den Protesten gegen die Absenkung der Klimaschutz-Standards bei Neubauten. Unter anderem haben wir den entsprechenden offenen Brief mit gezeichnet, den Du hier nachlesen kannst. Autor*innen sind Marita Matschke (Fossil Free München) und Andreas Becker (Greenpeace München).
An Oberbürgermeister Dieter Reiter
An die Fraktionen der Parteien im Münchner Rathaus
An die Medien
München, den 26.04.2025
Abschaffung von „Klimastandards“ beim Bauen
Stadtrats-Vollversammlung 30.04.2025
Geehrter Herr Oberbürgermeister,
geehrte Damen und Herren,
in der kommenden Vollversammlung des Stadtrats der Landeshauptstadt München sollen weitreichende Beschlüsse zur „Kostensenkung beim öffentlichen Bauen“ von Wohnungen, Schulen usw. gefasst werden.
Neben tiefen Eingriffen etwa bei (Barrierefreiheit-)Standards zugunsten älterer Menschen und Menschen mit Behinderungen stehen dabei die Reduzierung bzw. Abschaffung von Baustandards in den Bereichen Klimaschutz (insb. Ausbau der Erneuerbaren Energien) und Klimaanpassung (insb. Gebäudebegrünung) zur Entscheidung. Diese Standards (z.B. der Klimafahrplan in der Bauleitplanung) wurden in mühsamer Abstimmung zwischen den Fachreferaten und nach intensiven Verhandlungen in den Stadtratsfraktionen vom Stadtrat der Landeshauptstadt München im Konsens verabschiedet.
Nach den Beschlussvorlagen sollen aber nun beim Bau von öffentlichen (Sozial-)Wohnungen oder bei Schulneubauten Standards der (im Rahmen der KfW-Bundesförderung großzügig mit bis zu 150.000 Euro/Wohneinheit honorierten) Gebäudedämmung gesenkt werden, ungefähr auf das Niveau der (seit 2022 nicht mehr geförderten) Standards. Dadurch gehen dem städtischen Haushalt und dem städtischen Wohnungsunternehmen „München Wohnen“ erheblichste Fördergelder verloren!
Und es soll auf (Fassaden- und Dach-)Gebäudebegrünungen gänzlich verzichtet werden, die der Stadt- und Gebäudekühlung dienen und z.B. Klimaanlagen in Schulen überflüssig machen können.
Ebenfalls gestrichen werden sollen (Dach-)Photovoltaikanlagen, eine unschlagbar günstige Stromerzeugungstechnologie, wie sie erst vor zwei Jahren im „Solaren Masterplan“ vom Stadtrat verpflichtend für den Gebäudebestand beschlossen wurde.
Bei den Beschlussvorlagen werden ausschließlich Erstkosten von Investitionen betrachtet. Unberücksichtigt aber sind die Reduzierung laufender Kosten in Folgejahren, z.B. die Minderung von Betriebskosten bei Verzicht auf Wartung und Betrieb von Klimageräten, weil diese bei natürlicher Kühlung nicht benötigt werden. Oder Einsparungen oder gar Erlöse durch Eigenstromerzeugung bzw. Erzeugung von Mieterstrom mittels PV, die an die Mieter von Sozialwohnungen weitergereicht werden könnten – gerade, wenn mit „Kostensenkungen“ Mietenpolitik betrieben werden soll.
Mit der fadenscheinigen Begründung der Entlastung des städtischen Haushalts und einer kurzfristigen Kostensenkung beim Planen und Bauen ignorieren die Beschlussentwürfe die überaus gewichtige volkswirtschaftliche Langfristperspektive: das Einbeziehen nicht nur von einmaligen Investitionskosten, sondern zwingend auch des gesamtgesellschaftlichen Nutzens dieser Klimastandards bei Klimaschutz und (städte-baulicher) Klimaanpassung.
Nicht beachtet aber wird vor allem, dass die in München ohnehin viel zu geringen, jetzt aber noch weiter reduzierten Investitionen in Klimaschutz und -anpassung sich mittelfristig bitter rächen werden: Alle wissenschaftlichen Institutionen verweisen übereinstimmend darauf, dass das Auffangen von Klimafolgeschäden aus Hitzeperioden, Überschwemmungen etc. später zu weit höheren privaten und gesamt-gesellschaftlichen Kosten führen werde, als die heute einmalig erreichbaren „Einsparungen“.
Weder wurde – wie in der städtischen Klima-Satzung vorgeschrieben – eine neutrale „Klimaprüfung“ durchgeführt, noch ist der von der Stadt speziell für derartige Entscheidungen vor vier Jahren eingerichtete Klimarat befasst worden. Ein solch undemokratisches Vorgehen ist leider bereits in einer Vielzahl von Fällen zu beobachten gewesen.
Und: Im Dezember 2019 hatte der Stadtrat aufgrund der durch Fridays for Future verstärkt in die Gesellschaft getragenen Erkenntnis der dramatischen Verschärfung der Klimakrise den „Klimanotstand“ für München ausgerufen. Das national geltende „Klimaneutralitätsziel 2045“ wurde vom Stadtrat für München „klimaneutral bis 2035“ vorgezogen (unter expliziter Einbindung der Eigenbetriebe und städtischen Energie- und Wohnungsgesellschaften). Solche Proklamationen werden spätestens durch die beabsichtigte Besei-tigung der in den vergangenen Jahren eingeführten „Klimastandards“ beim Bauen zur Farce, und zwar mit bundesweiter und internationaler Tragweite.
Mit den vorgesehenen Absenkungen von Klimastandards werden aber auch gesetzliche Vorgaben (aus nationaler und EU-Rechtsetzung, wie z.B. der Gebäuderichtlinie EUBD) nicht beachtet – was mit Sicherheit zu Klagen führen wird. Insbesondere möchten wir auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021 verweisen, wonach die Rechte junger Menschen und künftiger Generationen zureichend zu schützen sind und nicht durch zu geringe Klimaschutzvorsorgemaßnahmen verringert werden dürfen. Dieses Urteil bindet insbesondere auch die Stadt München als öffentliche Körperschaft.
2018 hatten wir in Deutschland statistisch 20.200 Hitzetote zu beklagen. Sind zusätzliche +5.000 hitzebedingte Sterbefälle pro Jahr bis 2050 (UBA, 2024), ein Anstieg der Hitzetage (> 30 oC) bislang um das Fünffache und eine durchschnittliche Temperaturerhöhung von +2,3 oC in der „Hitzeinsel“ München nicht Alarmzeichen genug?
Wir protestieren deshalb in aller Form und aufs Schärfste gegen die unverantwortlichen und nur kurzsichtig bedachten Absenkungen von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen. Wir verlangen, dass auf diese (und etwaig weitere angedachte) Reduzierungen von Klima- und Energiestandards nicht nur, aber besonders auch beim Bauen zwingend verzichtet wird.
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