Klimaschutz 24. Juli 2021

1,5 Grad sind doch gar nicht so schlimm! Oder?

Warum eine Erderwärmung von nur wenigen Grad bereits existenzbedrohlich ist

Das 1,5-Grad-Celsius-Ziel ist seit dem Übereinkommen von Paris das ultimative Maß für den Klimawandel. Die knapp 190 Vertragspartner*innen verständigten sich bei der Klimakonferenz im Jahr 2015 auf das langfristige Ziel, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen. Zusätzlich sieht der Vertrag das Ziel vor, den Anstieg auf 1,5 Grad Celsius einzuschränken, da dies die Risiken und Folgen des Klimawandels deutlich vermindern würde. Durch Gretas Thunbergs Schulstreiks für das Klima waren die 1,5 Grad Celsius wieder in aller Munde: Die Kernforderung der „Fridays for Future“-Bewegung ist die konsequente Einhaltung dieses Maximums an Temperaturanstieg.

Eher unbequem als angenehm

Besonders in unseren Breitengraden möchte man zunächst denken, dass ein Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius nicht besonders auffällig, ja wenn überhaupt eher komfortabel wäre. Und ob es dann doch zwei statt 1,5 Grad Celsius werden, tut sicherlich auch nichts mehr zur Sache. Wahrscheinlich würden sich viele eher freuen, wenn es im Winter keine Minusgrade mehr hätte und im Herbst noch der ein oder andere Badetag drin wäre. Aber eine Erwärmung der Erde von 1,5 Grad Celsius oder mehr birgt leider hauptsächlich negative Folgen für die Erde und bedroht letzten Endes sogar ihre Existenz. Wir haben die wichtigsten Folgen einer Erderwärmung von über 1,5 Grad Celsius zusammengefasst, um – vor allem vor der Bundestagswahl – die rosarote Sonnenbrille einmal abzunehmen.

Fakt ist: Es wird immer heißer

Laut dem Report des Weltklimarats (IPCC) von 2013 stieg die globale Mitteltemperatur von 1880 bis 2012 in Bodennähe im Schnitt um 0,85°C. Rund zwei Drittel der Erwärmung fallen auf den Zeitraum seit Mitte der 1970er Jahre. Alle bisherigen Jahre des 21. Jahrhunderts gehören zu den zwanzig wärmsten seit Beginn der regelmäßigen Aufzeichnung der Lufttemperatur und lagen jeweils mindestens um 0,4°C über der Durchschnittstemperatur des Zeitraums 1961-1990. Seit 1980 übertreffen sich die Jahrzehnte immer wieder mit Hitzerekorden. Insbesondere auf der Nordhalbkugel wird es immer heißer. Die Ausdehnung des Meereises in der Arktis zum Beispiel ist im Zeitraum von 1979 bis 2012 um etwa 3,5 bis 4,1 Prozent pro Jahrzehnt – in den Sommermonaten sogar um 9,4 bis 13,6 Prozent pro Jahrzehnt – geschrumpft.[1] Aktuell ist sich die Mehrheit von Klimaforscher*innen und Wissenschaftler*innen einig, dass die globale Durchschnittstemperatur in diesem Jahrhundert vermutlich um zwei bis vier Grad Celsius steigen wird.[2]

Dass sich die Erde manchmal erwärmt und dann aber wieder abkühlt, ist schon immer so gewesen. Wir alle kennen die Eiszeit und auch eine mittelalterliche Warmzeit von ca. 950 bis 1250 n. Chr ist bekannt. Jedoch verläuft die derzeitige Erwärmung deutlich schneller und global ähnlich ab, während frühere Klimaanomalien sehr langsam und nur regional verliefen. Eine Erwärmung wie die derzeitige ist in der Geschichte der Erde einzigartig. Logisch, denn hätte es schon früher eine Erwärmung gegeben, die sich wie diese weitgehend ungebremst fortsetzt, wäre die Existenzmöglichkeit der Menschheit zum heutigen Zeitpunkt vermutlich höchst fragwürdig. Umso mehr können die steigenden Temperaturen auf unserem Planeten als ein Appell verstanden werden, jetzt zu handeln und die Lebensgrundlagen für die Zukunft zu erhalten.

Was wenig klingt, ist mehr als genug

1,5 Grad Celsius ist deutlich mehr, als es zunächst aussieht. Insbesondere das Tempo, in dem sich die Erde im Moment erhitzt, stellt eine Gefahr für Menschen, Tiere und das gesamte Ökosystem dar. Wir sind an die derzeit vorherrschenden klimatischen Bedingungen angepasst. Verläuft die Erhitzung aber so schnell wie gerade weiter – oder Schätzungen zufolge eher noch schneller – bleibt nicht genug Zeit, um sich an die Veränderungen anzupassen.[3]

Die Folgen einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius sind vielfältig. Insbesondere ein steigender Meeresspiegel sowie höhere Temperaturen – in manchen Regionen auch um deutlich mehr als 1,5 Grad Celsius – bedrohen vor allem Küstengebiete und Länder auf der Südhalbkugel. Doch auch in Deutschland wäre die Erhitzung zu spüren: Der Klimareport Bayern 2021 berechnete, dass es bis 2100 knapp 36 mehr Tage im Jahr geben wird, an denen die Temperatur über 30 Grad Celsius beträgt.[4] Gleichzeitig prognostizieren Expert*innen eine deutlich wechselhaftere Wetterlage mit längeren Dürrephasen sowie Starkregen mit Überflutungen. Diese Prognosen bestätigen sich auch derzeit in Deutschland schon: Regionen in Niederbayern und Franken leiden unter Fluten, gleichzeitig ziehen über ganz Europa und Nordamerika Hitzewellen mit Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius. Auch Wirbelstürme nehmen in den letzten Jahren zu: Ausgelöst durch einen steigenden Meeresspiegel hat der Anteil der stärksten Hurricane-Kategorien 3 bis 5 an allen Hurricanes in den letzten vierzig Jahren um ein Viertel zugenommen.[5]

Die Veränderungen in der Wetterlage haben herbe Auswirkungen auf unser Leben. Hitzewellen zum Beispiel bergen ein großes Gesundheitsrisiko, vor allem für Menschen mit instabilem Kreislauf. Im Jahr 2018 gab es rund 20.000 hitzebedingte Todesfälle in Deutschland. Eine dieses Jahr erschienene Studie zeigt, dass sich ca. 37 Prozent der jährlichen Hitzetode auf den Klimawandel zurückführen lassen – Tendenz steigend.[6] Auch die Landwirtschaft leidet unter dem wechselhaften Klima: Die Verschiebung der Vegetationsperioden erschweren die Planungen der Landwirt*innen, Hitzeperioden gefolgt von Überflutungen können zu Ernteausfällen führen. Für Bäume ist eine Erhitzung auch nicht leicht zu verkraften: Sie geraten unter ungewohnt heißen Temperaturen schnell in Hitzestress. Im Sommer 2003 zum Beispiel verschlossen die Buchenwälder auf der Nordseite der Alpen die Spaltöffnungen ihrer Blätter, um sich vor dem Austrocknen zu schützten. Trauriger Nebeneffekt: Die Wälder konnten deutlich weniger CO2 binden. Trockene Bäume sind außerdem deutlich anfälliger für Brände – zuletzt beobachtet in Australien, dem Amazonasgebiet, Kalifornien und sogar in Sibirien. Das setzt massenhaft CO2 frei. Auch Schädlinge werden den Bäumen zu schaffen machen, denn Insekten passen sich viel schneller an neue Klimabedingungen an als langsam wachsende Bäume.[7] Die immer häufigeren Überflutungen beschädigen die Infrastruktur und Gebäude, geschweige denn die Gefahren von Wassermassen für Mensch und Tier. Wärmere Bäche, Flüsse und Meere gefährden die Tier- und Pflanzenwelt in und am Wasser und haben außerdem Konsequenzen für die Energieversorgung: Kraftwerke entnehmen ihr Kühlwasser häufig aus umliegenden Flüssen und speisen es erwärmt wieder ein. Durch Flusswasser, das bei der Entnahme bereits zu warm ist, oder durch sommerliches Niedrigwasser kann es künftig an ausreichendem Kühlwasser mangeln.[8]

Der fünfte Sachstandsbericht des IPCC aus dem Jahr 2014 nennt noch folgende weitere Auswirkungen einer Erwärmung der Erde um 1,5 Grad Celsius: „Es wird erwartet, dass der Klimawandel während des 21. Jahrhunderts zu einem Anstieg von Krankheiten in vielen Regionen und besonders in Entwicklungsländern mit geringem Einkommen führt, verglichen mit einer Referenz ohne Klimawandel. […] Projektionen zufolge werden die Folgen des Klimawandels während des 21. Jahrhunderts das wirtschaftliche Wachstum verlangsamen, die Armutsbekämpfung erschweren, die Ernährungssicherheit weiter aushöhlen sowie bestehende Armutsfallen verstetigen und neue auslösen, letzteres insbesondere in städtischen Räumen und entstehenden Hunger-Hotspots […] Es wird erwartet, dass die Folgen des Klimawandels die Armut in den meisten Entwicklungsländern verstärken und neue Armutsinseln in Ländern mit zunehmender Ungleichverteilung sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern schaffen werden. In städtischen und ländlichen Räumen werden arme, von Lohnarbeit abhängige Haushalte, die Nettokäufer von Nahrungsmitteln sind, durch Preissteigerungen von Nahrungsmitteln besonders betroffen sein.“[9]

Die Erde kippt

In den Ökosystemen der Erde gibt es kritische Belastbarkeitsgrenzen. Viele dieser Grenzen bewegen sich exakt zwischen einem Temperaturanstieg von 1,5 bis zwei Grad Celsius. Einmal an diesen Kipppunkten angelangt, gibt es kein Zurück mehr.

Meere

Eine Erwärmung von zwei Grad Celsius statt 1,5 Grad Celsius würde einen Meeresspiegelanstieg von weiteren 10 Zentimetern bedeuten. Betrachtet man, wie langsam zum Beispiel die trotzdem noch unvorstellbar riesigen Eismassen auf Veränderung reagieren, würde das auf lange Sicht auf einen Anstieg von mehreren Metern hinauslaufen.[10] Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius wäre an der Nordseeküste alle 100 Jahre mit einer extremen Sturmflut zu rechnen, bei zwei Grad Celsius Erwärmung schon alle 33 Jahre.[11] Bei einer Erderwärmung um zwei Grad Celsius wären 21 Prozent der Landfläche einem Überschwemmungsrisiko durch Flüsse ausgesetzt, 10 Prozent mehr als bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius.[12] Der IPCC berechnete ein quasi vollständiges Sterben der tropischen Korallenriffe bei einer Erwärmung um zwei Grad Celsius – Renaturierung? Unmöglich. Bei einer Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels hingegen könnten immerhin zehn bis 30 Prozent der Riffe erhalten bleiben.

Hitze

Während bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius im Schnitt jeder zweite Sommer in Deutschland ein Rekordsommer wäre, wären es bei einem Anstieg um 2 Grad Celsius neun von zehn Sommern.[13] Bei einer Erderwärmung von 1,8 Grad Celsius berechneten Wissenschaftler*innen, dass es beispielsweise in Hamburg 2080 so warm wäre wie bislang in Mokhotlong in Lesotho im südlichen Afrika.[14] Eine Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius würde sich in einem Temperaturanstieg von drei bis 4 Grad Celsius bei den Höchsttemperaturen in Europa niederschlagen. Eine Erderwärmung um zwei Grad Celsius würde einen Anstieg von schon 5 Grad Celsius bedeuten.[15] Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius würde 41 Prozent mehr Fläche in Südeuropa durch Waldbrände vernichtet werden, bei einer Erwärmung von 2 Grad Celsius bereits 62 Prozent.

Tiere

Bei 1,5 Grad mehr würden vier Prozent der Wirbeltiere, sechs Prozent der Insekten und acht Prozent der Pflanzen aussterben. Bei zwei Grad wären es schon acht Prozent der Wirbeltierarten, 18 Prozent der Insekten und 16 Prozent der Pflanzen.[16]

Eis

Auch in Sibirien gibt es einen solchen Kipppunkt: Die Permafrostböden sind ein riesiger Kohlenstoffspeicher. Schätzungsweise zwischen 1300 und 1600 Milliarden Tonnen Kohlenstoff sind in diesem einst ewigen Eis eingelagert, nach Angaben des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung rund 50 Prozent des gesamten im Boden gespeicherten Kohlenstoffs weltweit. Die Permafrostgebiete haben sich zwischen 1990 und 2016 aber bereits um bis zu vier Grad erwärmt. Taut der Permafrost auf, wird der eingeschlossene Kohlenstoff freigesetzt. Bis 2100 könnten etwa 15 Prozent des gebundenen Kohlenstoffs freigesetzt sein, was die Erderwärmung noch einmal um einiges beschleunigen würde.[17] Mit den steigenden Temperaturen bleiben außerdem größere Flächen des arktischen Ozeans im Sommer eisfrei. Während Eis rund 40 Prozent des Sonnenlichts reflektieren kann, schafft Wasser nur gut 10 Prozent. Die Eisschmelze schreitet also weiter voran.[18] Rund alle 100 Jahre wäre bei einer Erwärmung die Arktis immer Sommer eisfrei, bei einer Erwärmung um zwei Grad Celsius wäre das deutlich häufiger der Fall: Alle 10 Jahre wäre im Sommer kein Eis mehr in der Arktis zu finden.[19]

Weitere Erwärmung jetzt aufhalten

Das Gefährliche am Klimawandel ist, dass er sich nicht linear, sondern exponentiell verstärkt. Was bei einer Erwärmung von 1,5 Grad Celsius schon verheerend ist, ist bei einer weiteren Erwärmung um ein Zehntel Grad Celsius noch schlimmer und so weiter. Jedes Zehntel Grad Celsius macht außerdem knapp 200 Milliarden Tonnen CO2-Budget aus. Um mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit bei 1,5 Grad Celsius zu landen, darf die gesamte Welt nur noch 450 Milliarden Tonnen ausstoßen[20] – zum Vergleich: Allein Deutschland stieß im Jahr 2019 knapp 810 Millionen Tonnen aus. Expert*innen zufolge wird die globale Erderwärmung Ende des Jahrhunderts bei 2,4 Grad liegen, wenn alle bislang getroffenen Klimaschutzmaßnahmen so umgesetzt werden wie geplant.[21] Das sind 0,9 Grad Celsius mehr als der Pariser Klimavertrag anpeilt. Deutschland und die anderen Nationalstaaten müssen ihre Maßnahmen also noch deutlich anziehen. Eine weitere Erwärmung kann nur verhindert werden, indem wir unsere Emissionen jetzt so weit wie möglich reduzieren. Und je schneller wir das tun, desto mehr positive Auswirkungen hat unser Handeln. Eine Bundesregierung, die sich den fatalen Auswirkungen einer Erhitzung von über 1,5 Grad Celsius bewusst ist und die berechneten Prognosen ernst nimmt, wäre in der Lage, noch jetzt – wo es noch nicht zu spät ist – eine Kehrtwende in Sachen Klimaschutz einzuschlagen und zu tun, was nötig ist. Denn nachfolgende Generationen werden uns unser Nichtstun nie verzeihen.

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Mehr News und Veranstaltungen

[1] Umweltbundesamt. Welche Folgen hat der Klimawandel für Deutschland?.

[2] Schadwinkel, Alina. Klimawandel erklären? So geht’s!.

[3] Umweltbundesamt. Welche Folgen hat der Klimawandel für Deutschland?.

[4] sueddeutsche.de. Plus 4,8 Grad bis 2100 – Report sagt Bayern starken Klimawandel voraus.

[5] Rahmstorf, Stefan. Warum zwei Grad Erderwärmung zu viel sind

[6] Mrasek, Volker. Der Klimawandel ist schon heute tödlich.

[7] Pötter, Bernd. Zwölf populäre Halbwahrheiten über den Klimawandel – im Licht der Forschung.

[8] Umweltbundesamt. Welche Folgen hat der Klimawandel für Deutschland?.

[9] https://www.deutsches-klima-konsortium.de/de/klima-debatten/14-folgen.html

[10] Rahmstorf, Stefan. Warum zwei Grad Erderwärmung zu viel sind

[11] Kühn, Volker. Jedes Zehntelgrad zählt.

[12] Ebd.

[13] klima-arena.de. Was ist das 1,5-Grad-Ziel?.

[14] ndr.de. Klimawandel: Fakten zum globalen Temperaturanstieg.

[15] Kühn, Volker. Jedes Zehntelgrad zählt.

[16] Ebd.

[17] Reske, Vanessa. Sechs tickende Zeitbomben, die unser Klima radikal verändern würden.

[18] Kühn, Volker. Jedes Zehntelgrad zählt.

[19] Quarks (@quarks.de) via Facebook.

[20] Rahmstorf, Stefan. Warum zwei Grad Erderwärmung zu viel sind

[21] spektrum.de. Welt steuert auf 2,4 Grad zu.

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